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Oliver Reiser

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Kleie und Bagasse - wertvoller Abfall für chemische Synthesen

Oliver Reiser

Kleie und Bagasse öffnen neue Wege für die Synthese von Chemikalien. Und das Beste daran: diese nachwachsenden Rohstoffe stehen nicht in Konkurrenz mit der Produktion von Nahrungsmitteln © Chemie-im-Alltag 2010

Magisch nachwachsende RohstoffeNachwachsende Rohstoffe sind zu einem Zauberwort für die Lösung von Rohstoff- und Energiefragen in einem Post-Öl Zeitalter geworden. Gewonnen aus der Natur, keine Umweltrisiken wie etwa bei Ölbohrungen in der Tiefsee, unbegrenzt und nahezu überall verfügbar sowie klimaneutral versprechen nachwachsende Rohstoffe wesentliche Vorteile gegenüber Erdöl und Erdgas.

Nachwachsende Rohstoffe - nicht ganz so grün wie man denkt!

Haber-Bosch VerfahrenDoch die Welt der nachwachsenden Rohstoffen ist nicht ganz so rosarot, oder besser gesagt grün, wie man meint. Der Anbau von Pflanzen erfordert Stickstoffdünger, der dafür benötigte Ammoniak wird über das Haber-Bosch Verfahren aus Stickstoff und Wasserstoff gewonnen. Dieser Prozess ist ungeheuer energieintensiv, gegenwärtig knapp zwei Prozent des Weltenergieverbrauchs werden hierauf verwendet. Eine gute Investition, denn künstliche Stickstoffdüngung ernährt die Hälfte der Menschheit. Womit wir beim nächsten Problem wären: Den nachwachsenden Rohstoff, den wir am besten zu Chemikalien und Treibstoff verarbeiten können, ist Stärke, also genau der Rohstoff, der uns auch als Nahrung dient. Bioethanol aus Mais oder Zuckerrüben ist ein gut bekanntes Beispiel, so wird etwa mit der Einführung des Treibstoffs E10 zum Beginn des Jahres 2011 der Anteil an Ethanol im Benzin in Umsetzung der EU-Richtlinien auf 10% gesteigert. Die steigende Bioethanolproduktion bringt daher gleich in zweifacher Weise Probleme mit sich: Wir tauschen Treibstoff gegen Lebensmittel - in einigen Ländern Südamerikas hat man wegen der Lebensmittelverknappung daher die Verwendung von Mais für Treibstoff bereits untersagt - und gleichzeitig werden die benötigten Agrarflächen zum Anbau von Mais und Zuckerrüben durch Brandrodung von wichtigen Waldflächen - vor allem der tropische Regenwald in Südamerika ist hier zu nennen - erkauft. Hinzukommt, dass durch die zusätzliche Düngung von Agrarflächen auch zunehmend Stickoxide (NOx) freigesetzt werden, die ein vielfach höheres Treibhauspotential haben als Kohlendioxid.

Nachwachsende Rohstoffe - eine Herausforderung für die Chemie

Cellulose-StaerkeFür eine effektive Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen als Basischemikalien und Energiequellen sind noch viele Probleme zu lösen, deren Kern in der Notwendigkkeit zur Entwicklung neuer chemischer Verfahren zu liegen scheint. Zwar ist die direkte Nutzung von Rohstoffen, im Wesentlichen Erdöl und Erdgas, für Chemieprodukte verglichen mit der Verwendung zur Energieerzeugung relativ gering (Anteil 10%), doch sind natürlich auch für die Herstellung von Biotreibstoffen chemische Verfahren nötig. Nehmen wir als Beispiel wieder Bioethanol: Dessen Herstellung aus Stärke durch enzymatischen Abbau - das Verfahren der Trinkalkoholherstellung - wird seit hunderten von Jahren von der Menschheit beherrscht. Dagegen steckt die Bioethanolgewinnung aus Zellulose (Holz), trotz der zur Stärke sehr ähnlichen chemischen Zusammensetzung, noch in den Kinderschuhen.

Eine weitere Herausforderung sind die Arten der in der chemischen Industrie etablierten Stoffkreisläufe: Wir haben gelernt, die unfunktionalisierten Kohlenwasserstoffe des Erdöls und des Erdgases durch chemische Transformationen mit einzelnen funktionellen Gruppen gezielt auszustatten. Für die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen - in erster Linie Kohlenhydrate (Zucker) - ist genau das umgekehrte Vorgehen nötig: Die mit vielen funktionellen Gruppen - noch dazu mit äußerst stabilen und damit chemisch weitgehend inerten Hydroxygruppen - ausgestatteten Zuckermoleküle müssen für eine Umwandlung in gängige chemische und pharmazeutische Produkte defunktionalisiert werden, und für solche Umwandlungen fehlen der Chemie weitgehend die passenden Werkzeuge.

Kleie und Bagasse - alles andere als Abfall!

Max und Moritz KleiekotzerIn unserer Arbeitsgruppe beschäftgen wir uns mit der Entwicklung von katalytischen Methoden für die chemische Umwandlung von nachwachsenden Rohstoffen. Neben dem methodischen Interesse verfolgen wir dabei das Ziel Verbindungen herzustellen, die man bislang traditionell aus Erdöl gewinnen würde. Als nachwachsende Rohstoffklasse verwenden wir Furane, die in großen Mengen aus in Kleie (bis zu 80%) oder Bagasse (20-30%) vorkommender Hemicellulose gewonnen werden. Kleie und Bagasse stehen nicht im Wettbewerb mit der Gewinnung von Nahrungsmitteln, im Gegenteil: Kleie ist der bei der Getreideverarbeitung nach Bagasse zu FuranAbsieben des Mehls anfallende Rückstand aus den Schalen der Getreidekörner. Schon vor hunderten von Jahren brachte man am Auslauf der Kleie am Beutelkasten einer Mühle Masken an - so genannte Kleiekotzer, die man schon im Wilhelm Busch's Max und Moritz bewundern kann -, die die Geringschätzung dieses Stoffs zum Ausdruck brachten. Heutzutage weiß man einen gewissen Anteil an Kleie als Ballaststoff in der Nahrung dagegen zu schätzen. Bagasse sind die faserigen Überreste aus Zuckerrohr bei der Zuckerfabrikation, und wird heutzutage vor allem als Festbrennstoff oder auch zur Herstellung von Pappen (Verpackungsmaterial) genutzt. Bagasse und Kleie fallen jährlich in gigantischen Mengen von mehr als 100 Millionen Tonnen an und stellen damit ein ideales Ausgangsmaterial dar, parallel zur Nahrungserzeugung auch chemische Basisstoffe und Treibstoffe herzustellen. Hierzu versuchen wir einen Beitrag zu leisten: In der Rubrik Rund um unsere Forschung in diesem Portal können Sie mehr über unsere Forschungsprojekte erfahren.

 

Bildnachweis:
Hintergrund Bagasse: Wikimedia Commons von David Monniaux